Der rätselhafte Konsument Der rätselhafte Konsument: Forscher entschlüsseln das Kaufverhalten

Berlin/MZ - Unerbittlich rückt der Heiligabend näher und damit der Moment der Geschenke-Übergabe. Seit Wochen werden die Geschäfte abgegrast. Bei der Jagd nach dem richtigen Produkt stehen die Konsumenten unter strenger Beobachtung, nicht nur zur Weihnachtszeit: Wissenschaft und vor allem die Unternehmen versuchen unablässig, das „Rätsel Käufer“ zu entschlüsseln - wann wird was gekauft und warum? Bereits seit Jahrzehnten wird das Kaufverhalten untersucht. Und doch liefert die Wissenschaft fast täglich neue, kuriose Erkenntnisse über unsere Shopping-Launen.
Gleichgewicht: Wer größere Anschaffungen machen will, der sollte vielleicht beim Einkauf hochhackige Schuhe tragen. Das legt eine Studie der Brigham Young University (BYU) nahe. Der Grund: Konzentriert sich ein Mensch bewusster auf sein Gleichgewicht, wägt er die Kaufentscheidung eher ab. „Neigt man dazu, zu viel Geld auszugeben, kann man das Tragen hochhackiger Schuhe erwägen“, rät daher Jeffrey Larson, Marketing-Professor der BYU. Andere Möglichkeiten, auch für Männer: sich beim Online-Shopping im Stuhl zurücklehnen oder auf einem Fuß stehen. „Käufer sollten sich immer bewusst sein, welche physischen Kräfte ihre Gedanken beeinflussen“, so die Studienautoren.
Schmeicheln: „Das Kleid steht Ihnen wunderbar!“ – Verkäufer neigen zur Schmeichelei, um den Kauf zu befördern. Das jedoch gefällt vielen Kunden nicht, so eine Studie der Tilburg University und der Hongkong University of Science an Technology. „Nach unseren Erkenntnissen mögen zwar einige Kunden schmeichelnde Worte des Verkäufers“, so die Studienautoren. Meistens jedoch bleibe ein negatives „Bauch-Gefühl“ zurück – selbst wenn die Ehrlichkeit des Verkäufers angenommen werden kann, da das Produkt bereits gekauft sei. Schadet Schmeichelei also dem Geschäft? Nicht unbedingt, so die Studie. Denn erstens beeinflusse das ungute Gefühl der Geschmeichelten kaum ihre Kaufentscheidung. Zweitens: Hören Kunden dabei zu, wie der Verkäufer anderen Kunden schmeichelt, so kann leicht Neid entstehen. Und auf dieses Neid-Gefühl reagieren viele Kunden, indem sie beispielsweise extra-teure Jeans kaufen, um sich selbst aufzuwerten.
Luxus: US-Amerikaner geben jedes Jahr 250 Milliarden Dollar für luxuriöse Damen-Artikel aus, jede Amerikanerin kauft sich im Durchschnitt drei Handtaschen pro Jahr. Warum ist das so?, fragte sich Vladas Griskevicius, Professor an der Carlson School of Management. Ein Grund dafür ist laut seiner Studie, dass Luxus-Artikel für Frauen auch eine soziale Signal-Funktion haben, mit der sie ihre Beziehung schützen: „Mit einer teuren Handtasche zeigt man anderen Frauen: Lass die Finger von meinem Mann!“, so Griskevicius. Dieses Signal werde von den Konkurrentinnen verstanden. Denn die teuren Schuhe und Handtaschen werden als Zeichen der Zuneigung des Mannes interpretiert, auch wenn die Frau sich die Tasche selbst gekauft hat. So dienen laut Griskevicius Gucci oder Chanel als Schutzschilde. Gerieten Beziehungen in Gefahr, so steige nicht nur der Bedarf von Frauen an teuren Taschen, Schuhen oder Handys, sie gäben im Durchschnitt auch ein Drittel mehr von ihrem eigenen Geld für Luxus-Artikel aus.
Popcorn: Das erste, was ein Konsument über ein Produkt oder eine Firma erfährt, ist meist der Name. Den, so das Ziel der Werbung, muss er sich merken. Werbung läuft daher über Wiederholung – je öfter ein Name gehört wird, umso eher bleibt er im Kopf. Wenn der Konsument bei der Werbung aber beispielsweise Popcorn isst, merkt er sich den Produktnamen schlechter, hat eine Studie der Uni Köln ergeben. Grund: Hört oder sieht man einen neuen Namen, so simulieren Mund und Zunge unbewusst automatisch die Aussprache des Namens. Wird diese „innere Rede“ gestört - eben weil man den Mund voll hat - kann die Artikulation nicht trainiert werden und der Wiederholungs-Effekt wird zunichte gemacht.
Musik: Es ist allgemein bekannt: Musik in Geschäften fördert den Umsatz. Es kommt dabei aber nicht nur auf die Musik an, sondern auch darauf, woher sie kommt. Das ist das Ergebnis eines Experiments der Hongkong University of Science and Technology. Die Versuchsteilnehmer wurden vor ein Regal gestellt und sollten zwischen zwei Keksschachteln wählen. Eine stand links von ihnen, die andere rechts. Kam gleichzeitig Musik oder eine Supermarkt-Ansage von links, griffen sie eher die linke Packung. „Für Konsumenten ist es einfacher, ein Produktangebot visuell zu verarbeiten, wenn es sich in der selben räumlichen Richtung wie das akustische Signal befindet“, so die Studien-Autoren.
Propaganda: Mundpropaganda ist einer der wichtigsten Werbekanäle. Daher interessiert sich die Werbung dafür, wie sie funktioniert. Die Universitäten von Pittsburgh und Texas fanden in einem Reihenexperiment heraus: Frauen neigen eher dazu, ihren Freundinnen gegenüber über ein erworbenes Produkt zu schimpfen. Männer tun dies seltener, da sie mehr auf ihr Image bedacht sind. Denn: Mit einem Fehlkauf gibt man zu, dass man kein kluger Konsument ist.
Peinlich: Das Gefühl von Peinlichkeit bewegt Menschen dazu, Produkte zu wählen, hinter denen sie sich verstecken können. Das ist das Ergebnis einer Studie der Sun Yet-Sen Universität, der Toronto University und der Chinese University of Hongkong. In dem Versuch kauften Probanden, die eine peinliche Situation ihres Lebens nacherlebten, größere Sonnenbrillen als die Vergleichsgruppe. In einem anderen Experiment erwarben sie eher Sonnenbrillen oder dekorative Kosmetik als andere Warengruppen. „Letztlich bevorzugten sie Produkte, mit denen sie ihr Gesicht bedecken konnten“, so Studienleiter Ping Dong. „Es wäre interessant zu untersuchen, ob Menschen, die täglich Make-up tragen, peinlichen Situationen gegenüber tendenziell toleranter sind.“
Aberglaube: Menschen sind abergläubisch – und Konsumenten damit auch. So neigen sie dazu, bestimmte Erlebnisse mit bestimmten Produkten zu verbinden, sogenannte Glücksbringer. Trinkt ein Sportfan zum Beispiel Pepsi, während seine Mannschaft gewinnt, so kauft er das nächste Mal wahrscheinlich Pepsi, obwohl er Coca-Cola lieber mag. „Dieser konditionierte Aberglaube schafft ein Gefühl von Kontrolle“, so eine Studie der Universitäten von Tulane und Columbia. Unternehmen sollten daher versuchen, den Konsum ihrer Produkte mit positiven Erlebnissen zu koppeln.
Vielfalt I: In Elektronik-Märkten herrscht meist eine unüberschaubare Vielfalt. Dutzende von MP3-Spielern, Kopfhörern, Waschmaschinen und Bildschirmen sind im Angebot. Der Kunde soll dadurch das Gefühl von Auswahl bekommen – was häufig aber nur für Verwirrung sorgt. Daher ist es besser, das Angebot zu beschränken, raten Forscher von der Tulane University. Aber Vorsicht, das funktioniert nicht endlos: „Reduziert man das Angebot beispielsweise bei Kameras auf nur ein einziges Modell, wird der Kunde es kaum kaufen, sondern nach Alternativen suchen - obwohl er unter vielen Kameras dieses Modell ausgesucht hätte“, so Daniel Mochone von der Tulane University. Geschäfte sollten den Kunden daher eine gewisse Vielfalt bieten und gleichzeitig darauf achten, die Auswahl so zu präsentieren, dass der Kunde auch zu einer Entscheidung gelangen kann.
Vielfalt II: Welche der vielen Pralinen soll ich kaufen? Irgendwann muss der Konsument das Abwägen beenden und eine Entscheidung fällen. Damit entgehen ihm aber die nicht-gekauften Alternativen. Um die Entscheidung befriedigender zu machen, sollte man sie mit einem physischen Akt der Beendigung abschließen, raten die Forscher Simona Botti und David Faro von der London Business School. Bestes Beispiel: Nachdem man im Restaurant ein Menü gewählt hat, klappt man entschieden die Speisekarte zu. Mit diesem Akt schließt man den Suchvorgang symbolisch ab und beendet das Abwägen von Alternativen, das nur das Konsumerlebnis vermiest.