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Der Osten will mitreden Der Osten will mitreden: Ostdeutsche fordern mehr direkte Beteiligung an EU-Politik

Von Max Hunger 02.10.2020, 05:00
Beim Thema Europa gehen die Meinungen in Ost und West auseinander.
Beim Thema Europa gehen die Meinungen in Ost und West auseinander.  dpa

Brüssel/Halle (Saale) - Mit der Berliner Mauer fiel vor 30 Jahren nicht nur die innerdeutsche Grenze, sondern auch der eiserne Vorhang in Europa. In Ost- und Westdeutschland zeigen die Menschen heute jedoch eine unterschiedliche Haltung gegenüber der Europäischen Union:

Während im Westen zwei Drittel der Bürger mehr Vor- als Nachteile in der EU-Mitgliedschaft Deutschlands sehen, ist der Osten gespalten - hier ist es nur rund die Hälfte. Das ist das Ergebnis einer Umfrage im Auftrag der Grünen-Fraktion im EU-Parlament anlässlich des Tages der Deutschen Einheit.

Demnach wünschen sich zwei Drittel der Ostdeutschen mehr Volksabstimmungen auf EU-Ebene - 13 Prozent mehr als in Westdeutschland.

„Auch wenn die Menschen im Osten Deutschlands sicherlich auch aus ihrer Geschichte heraus die EU zurückhaltender beurteilen, darf das nicht als Ablehnung gewertet werden, sondern vielmehr als der Wunsch nach Teilhabe“, sagte die deutsche Grünen-EU-Abgeordnete Anna Cavazzini, die die Umfrage in Auftrag gegeben hatte.

Gespalten bei Russland-Frage

Gespalten ist Deutschland laut Studie auch bei der Frage nach neuen Sanktionen der EU gegen Russland. Nach dem Giftanschlag auf den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny sprechen sich in Westdeutschland knapp die Hälfte der Menschen für neue Sanktionen aus. Im Osten Deutschlands tut das nur jeder Vierte.

Doch in vielen Fragen herrscht auch Einigkeit: Als größte Errungenschaften der EU nennen die Bundesbürger einheitlich das freie Reisen, den zollfreien Binnenmarkt und die Sicherung des Friedens in Europa.

Auch bei der Frage, in welchen drei Bereichen die EU mehr Entscheidungsmacht braucht, haben Ost- und Westdeutsche die gleichen Präferenzen. 64 Prozent nennen die Migrationspolitik, weitere 47 Prozent den Klimaschutz und die Außenpolitik. „Die Menschen sind keinesfalls integrationsmüde“, schlussfolgert EU-Abgeordnete Cavazzini.

Doch die Umfrage zeigt auch: Viele Menschen in Deutschland sehen Probleme bei dem Staaten-Projekt. Zu den am meisten genannten Schwächen der EU zählen laut Statistik die mangelnde Solidarität unter den Mitgliedsstaaten, die Bürokratie und undurchsichtige Entscheidungsverfahren. Cavazzini sieht daher auch Handlungsbedarf bei den Ländern: „Besonders die Mitgliedsstaaten sollten über neue Instrumente der politischen Beteiligung nachdenken“, so die Grünen-Politikerin.

Skepsis bei Ostdeutschen

Volksabstimmungen auf EU-Ebene hält Sven Schulze, CDU-Abgeordneter im EU-Parlament für Sachsen-Anhalt, hingegen nicht für sinnvoll. Denn die müssten dann in allen 27 Mitgliedsstaaten durchgeführt werden. Das sei ein viel zu großer Aufwand. Außerdem seien die Themen oft sehr komplex, die Abstimmungszettel daher lang, sagte Schulze.

„Das ist nicht durchführbar.“ Und: Die Vorgänge in Brüssel seien ja öffentlich und demokratisch. Jede Ausschusssitzung werde im Internet übertragen und die Abgeordneten im Parlament seien schließlich von den Bürgern gewählt. „Das ist alles sehr transparent“, sagte Schulze.

Dass es in Ostdeutschland trotzdem eine recht hohe Skepsis gegenüber der Politik aus Brüssel gibt, liegt laut dem CDU-Abgeordneten auch an der Vergangenheit: Die neuen Bundesländer dürfen erst seit 1994 eigene Abgeordnete ins EU-Parlament entsenden, der Westen bereits seit 1979. „Die sind damit anders aufgewachsen, bei uns besteht noch ein gewisses Misstrauen“, sagte Schulze.

Schulze für mehr Dialog

Der CDU-Politiker setzt daher auf mehr Dialog - etwa in Bürgerforen. Denn vor allem in Ostdeutschland werde nicht genug über die Vorteile der gemeinsamen Europapolitik gesprochen, findet er.

Etwa von der Reisefreiheit und dem zollfreien Binnenmarkt profitierten aber Arbeitnehmer und Bürger auch in Sachsen-Anhalt. Im Bundesland, das für viele als verlängerte Werkbank großer Konzerne im Westen gelte, hingen tausende Jobs am Exportgeschäft mit anderen EU-Ländern. „Das wird nicht genug diskutiert.“ (mz)