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Finanzkrise Finanzkrise: Emotionslose Anleger

Von STEFFEN HÖHNE 09.08.2011, 20:49

Halle (Saale)/MZ. - Denn 40 bis 50 Prozent des Aktienhandels wird inzwischen ausschließlich von Computern abgewickelt. Diese Maschinen kennen keine Gefühle - handeln also emotionslos. Dennoch tragen sie nach Einschätzung von Aktienhändlern zum jetzigen Absturz der Börsen in hohem Maße bei.

Immer mehr Banken, Fonds und Versicherer setzen auf das sogenannte Algo-Trading, das erstmals in den 90er Jahren eingeführt wurde. Die elektronischen Händler werden so programmiert, dass sie Unmengen von Daten sekundenschnell verarbeiten können. Sie sammeln auch Informationen. Dazu gehören nicht nur aktuelle Börsenkurse, sondern auch Unternehmenszahlen, Finanzmarktdaten und volkswirtschaftliche Daten wie etwa Arbeitslosenzahlen. Aufgrund bestimmter Algorithmen werten sie diese aus und entscheiden über den Kauf und Verkauf von Aktien. Durch ihre enorme Rechenleistung reagieren sie viel schneller, als menschliche Händler dies je tun könnten - und erzeugen so Handelsgewinne.

Allerdings sind die meisten dieser Computersysteme so programmiert, dass sie wie die meisten Händler auch "Herdentiere" sind. Steigen die Kurse, wird gekauft. Fallen die Kurse, wird verkauft. "Was wir derzeit sehen, ist eine Art Kettenreaktion", sagt Kai Franke, Leiter Anlagestrategie bei der BHF-Bank. Der Absturz der Kurse werde durch die Systeme beschleunigt. So gibt es bei fast allen Computerfonds - aber auch bei anderen Aktienhändlern - bestimmte Stopp-Marken. Unterschreitet der Kurs einer Aktie diesen Wert, wird sie automatisch verkauft. Karsten Jürges, Leiter Equity Trading der Nord / LB, sieht den reinen elektronischen Handel auch als einen Grund für den Einbruch an den Börsen. "Ich habe es noch nicht erlebt, dass die Kurse so rasant abstürzen", sagt der Aktienhändler. "Diese Geschwindigkeit ist eigentlich nicht mehr zu händeln."

Dennoch: Trotz der Kursstürze finden sich jeden Tag auch Anleger, die Aktien kaufen. Zumindest fast immer: Der Handel mit einzelnen Aktien an der Deutschen Börse muss derzeit auch öfter ausgesetzt werden. Börsen-Sprecher Andreas von Brevern spricht von sogenannten Volatilitätsunterbrechungen. Immer dann, wenn eine Aktie durch Käufe oder Verkäufe innerhalb kürzester Zeit sehr stark schwankt - Marktbeobachter sprechen von fünf bis sieben Prozent - wird der Handel für mindestens zwei Minuten ausgesetzt. Dies soll die Kurse stabilisieren. Wie oft dies in den vergangenen Tagen an der Deutschen Börse passiert ist, darüber schweigt das Unternehmen. "Es passiert derzeit deutlich häufiger als üblich", sagt von Brevern nur. In Extremfällen, wenn sich keine Käufer für bestimmte Aktien finden und der Kurs damit ins Bodenlose stürzen würde, wird der Handel auch für längere Zeit ausgesetzt. "Wir telefonieren dann mit den Händlern, wo das Problem liegt", so von Brevern. Auch bei den Computerhändlern müsse es immer einen menschlichen Ansprechpartner geben.

Nach Ansicht von Markus Neumann, stellvertretender Vorsitzender der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger, sind die Kursstürze an den Börsen irrational. "Die einzelnen Händler agieren aber durchaus rational. Sie verkaufen Aktien, um ihre Risiken zu begrenzen", sagt Neumann. Dies sieht auch Aktienhändler Jürges ähnlich: "Nur wenige Investoren kaufen wegen der großen Unsicherheit derzeit Aktien. Damit sinken die Kurse immer weiter." Viele Anleger würden Kursgewinne realisieren oder Verluste begrenzen.

Die Börsen-Experten sind sich einig, dass die derzeitigen Kursausschläge nichts mit der realen wirtschaftlichen Entwicklung in den kommenden Monaten zu tun haben. Wann die Kurse wieder ins Plus drehen, kann derzeit allerdings auch niemand sagen. "Früher war es so, dass sich die großen Händler auf dem Börsenparkett kannten. Man konnte immer Tendenzen erkennen", sagt Jürges. Im heutigen elektronischen Handel, bei dem Händler aus aller Welt beteiligt sind, sei dies nur noch sehr schwer möglich. Nur eines kann Jürges mit Sicherheit sagen: "Es wird derzeit viel Vertrauen kaputt gemacht."