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«DM»-Gründer Götz Werner «DM»-Gründer Götz Werner: Gratis-Geld für alle

Von STEFFEN KÖNAU 22.10.2010, 16:15

Halle (Saale)/MZ. - Was könnte das für eine Welt sein! Voller Poeten, Maler, Autoren; voller Menschen, die ihre Kreativität ausleben, die erfinden, philosophieren und diskutieren. Keiner muss mehr Angst haben, seine Miete nicht zahlen zu können, niemand muss fürchten, sich nichts zu essen kaufen zu können, niemandem wird aufgezwungen, einen Job zu machen, den er hasst, nur um die Familie zu ernähren. Ein Land voll freier Bürger, das ist es, wovon Götz Werner träumt: Freiheit heiße nicht, sagt der 66-Jährige dann schwelgerisch, tun können, was man will. Nein, "Freiheit heißt, nicht tun zu müssen, was man soll".

Nein sagen können, nicht erpressbar sein, Werner, ein gemütlich wirkender Herr in Pullover und Anzughose, hat das längst geschafft. Vor 37 Jahren gründete der in Heidelberg geborene Sohn einer Drogistenfamilie in Karlsruhe seine erste "DM"-Drogerie. Die Strategie des gerade 29-jährigen Deutschen Meisters im Ruder-Doppelzweier: Als erster übertrug er das Aldi-Prinzip des Lebensmitteldiscounters mit Selbstbedienung auf die Drogeriebranche. Innerhalb von fünf Jahren avancierte Götz Werner zum Herr eines Drogerieimperiums aus mehr als 100 Läden, das sich bis nach Österreich erstreckte.

Doch der bis heute durchtrainiert wirkende Hobby-Ruderer ist kein Unternehmer wie jeder andere. Werner ist von den Ideen Rudolf Steiners geprägt, der als Begründer der Anthroposophie gilt - einer Weltanschauung, die den Gedanken propagiert, dass jeder Mensch in der Lage ist, die Welt zu erkennen und sie zu verändern. Ein Prinzip, an dem sich auch die Waldorf-Schulen orientieren. Als seine Firma seiner Ansicht nach zu groß wurde, um weiter streng zentralistisch geführt zu werden, übertrug Werner den Filialen konsequent nach und nach Verantwortung für Sortiment, Dienstpläne und Gehaltsstruktur. Nach der Ansicht vieler Experten schuf der DM-Gründer damit die Grundlage dafür, dass seine Firma sich im harten Wettbewerb der Drogeriediscounter nicht nur behauptet, sondern dabei sowohl bei ihren Kunden als auch bei den beinahe 30 000 Mitarbeitern auch noch außerordentlich beliebt ist.

Götz Werner, der seinen ersten DM-Markt in den neuen Bundesländern vor 20 Jahren in Halle eröffnete und damals häufig in der Saalestadt war, sitzt seit einigen Jahren nur noch im Aufsichtsrat. Die Firma, auf Selbstorganisation trainiert, läuft auch ohne ihn bestens. Zeit für den Vater von sieben Kindern, sich die Gesellschaft vorzunehmen, die nach seiner Ansicht längst nicht so funktioniert, wie sie sollte. "So, wie wir das bisher getrieben haben", glaubt Werner, "kann es nicht mehr weitergehen."

Der Gründer des DM-Imperiums, Schätzungen zufolge rund eine Milliarde schwer, könnte sich natürlich zurücklehnen und sich einen schönen Ruhestand gönnen. Doch Werner spürt in sich "eine konstruktive Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen", wie er sagt. Die höchste Aufgabe, die sich eine Gesellschaft zum Ziel setzen müsse, sei es doch, Verhältnisse zu schaffen, "in denen die Menschen ihren roten Lebensfaden finden" - einen Lebenssinn also, einen Lebenszweck, eine Aufgabe, die sie am Ende glücklich zurückschauen lässt. "Das wäre für mich eine gerechte Gesellschaft", sagt Werner, "in der jeder den Freiraum findet, seine Biografie zu gestalten." Irgendwann war der Gedanke da, dass sich in einer solchen Gesellschaftsordnung alles andere von selbst finden könnte. Am Anfang sei ihm klar geworden, dass der Begriff Arbeitslohn irreführend sei, sagt Götz Werner. Wer behaupte, ein Mitarbeiter bekomme Geld für seine Arbeitsleistung, zäume das Pferd am falschen Ende auf. "Eigentlich bekommt der Mitarbeiter Geld, damit er arbeiten kann." Diesen Gedanken weitergedacht, ergebe sich eine völlig neu zusammengebaute Gesellschaft wie von selbst: Man nehme nur genug Geld in die Hand, um jedem die Chance zu geben, ohne Sorgen leben zu können. Dann suche er sich wie von selbst die Stelle, an der er sich selbst und damit dem Gemeinwesen am besten nützen kann.

Vor drei Jahren hat Götz Werner ein Buch über seine Vision geschrieben und eine Gesellschaft skizziert, die jedem ihrer Mitglieder genug Geld gibt, sein Leben ohne Arbeit zu fristen. Tausend Euro jeden Monat für jeden, ohne Gegenleistung, ohne Nachfrage, ohne Bedürfnisprüfung. Wer sich nicht sorgen müsse um das täglich Brot, ein Dach über dem Kopf und etwas Anzuziehen, glaubt Götz Werner an das Gute im Menschen, werde ganz von allein ausziehen, und die Welt zu einem besseren Ort machen. Niemand sei mehr zu sinnentleerter Erwerbsarbeit verpflichtet, jeder könne sich Dingen widmen, die er wirklich gern tue.

Was klingt wie ein Witz aus Wolkenkuckucksheim, hat der "Waldorf-Discounter", wie ihn das Manager-Magazin einst nannte, penibel durchgerechnet. Heute schon beziehe die Hälfte der Bevölkerung Transfereinkommen, das von der anderen Hälfte erwirtschaftet werde. Eine gewaltige Bürokratie sei damit beschäftigt, das Geld bei den einen einzusammeln, um es dann an die anderen auszureichen. In einer Gesellschaft, die statt Kindergeld, Hartz IV und Grundsicherung allen ihren Bürgern ein bedingungsloses Grundeinkommen zahle, könnten sämtliche Steuern wegfallen, allein eine erhöhte Umsatzsteuer würde dann ausreichen, die Mehrkosten zu finanzieren. Der ehemalige thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus, ein früher und emsiger Anhänger des Grundeinkommens, hatte einst errechnet, dass der aktuelle Sozialstaat im Jahr Kosten von etwa 735 Milliarden Euro umwälzt, ein Sozialstaat nach dem von Werner entworfenen Muster aber nur jährlich 583 Milliarden Euro koste. Selbst wenn das von Götz Werner anvisierte Ziel einer Zahlung von 1 500 Euro im Monat an jeden Bürger umgesetzt würde, hielten sich die Mehrkosten in Grenzen.

Dennoch ist die Idee des Mannes aus Heidelberg auch nach drei Jahren intensiver Diskussion eine Idee geblieben. Vieldiskutiert, aber fern jeder Realisierung. Umstritten, aber weit weg von jeder realistischen Umsetzungschance. Nicht jeder glaubt wie ihr Erfinder an das Grundgute im Menschen, nicht jeder mag sich vorstellen, in einen solch grundsätzlichen Umbau der Gesellschaft zu gehen, ohne das Ergebnis des Experiments vorher genau zu kennen. Götz Werner scheint unbeeindruckt und kein bisschen ungeduldig. In seinem neuen Buch "Freiheit. Gleichheit. Grundeinkommen" (Econ, 18 Euro) skizziert er seine Ideen noch etwas detaillierter. Er führt aus, welchen Kreativitätsschub eine Einführung dieses bedingungslosen Bürgergeldes haben könnte und wie es die gesamte Welt vom Kopf auf die Füße stellen würde: Niemand müsste mehr arbeiten, um leben zu können, jeder könnte leben, um die Arbeit zu tun, die ihm wichtig ist. Man müsse sich das vorstellen wie beim Monopoly-Spiel: "Jeder kann etwas unternehmen, etwas riskieren, etwas ausprobieren", sagt Werner, "er weiß ja, am Monatsende geht es über Los und er bekommt seine 1 000 Euro."

Eine Revolution soll es werden, die nicht auf Getöse und Klamauk setzt, sondern auf die Kraft der offenen Fragen. Wenn Götz Werner durch die Lande zieht, um sein Konzept vorzustellen, dann ist er weniger Prediger als freundlicher Plauderer. "Ich habe keine Antworten mit Gelingensgarantie", gesteht er freimütig, "aber wenn das hilft, dass Menschen mit einem neuen Blick in die Gesellschaft schauen, dann werden sie bald Fragen haben, auf die Sie die Antworten dann selbst finden."

Gläubige Anhänger, wie sie jede andere Bewegung am liebsten hat, mag Götz Werner dagegen gar nicht. Im Fernsehen hätten sie ihn neulich gefragt, was er von einem Umfrageergebnis halte, nach dem 65 Prozent der Menschen für das Grundeinkommen seien. "Sehr schön", hat Götz Werner gesagt, "dann sind ja 35 Prozent dagegen." Das seien die Leute, mit denen er die Gesellschaft umbauen will, denen er zutraut, seine Gedanken durch kritische Fragen weiterzuentwickeln. "Das es sie gibt, das motiviert mich", sagt er.